1.1 EINFÜHRUNG
Das Phänomen der Einflussnahme
Es ist erstaunlich, wie unterschiedliche Menschen auf andere wirken. Manche werden sofort wahrgenommen, ihre Beiträge in einer Diskussion deutlich beachtet, oder sie werden direkt um ihre Meinung gefragt. Man legt auf ihre konkrete Mitarbeit gesteigerten Wert und schließlich werden sie bald in verantwortliche Funktionen gewählt. Zusammenfassend kann man feststellen, sie haben bzw. gewinnen Einfluss. Was heißt aber Einfluss haben?
Definition
In meinem Buch Lothar Schäffner: Die Kunst, Einfluss zu nehmen – in und durch Organisationen. Rainer Hampp Verlag 2017 habe ich mich um eine Definition bemüht, die ich heute noch für Wert halte, im Original vorangestellt zu werden.
„Einflussnahme verstehe ich als das aktive Bemühen, in einem sozialen Gefüge wirksam zu werden“.
Wirksam werden, sehe ich als ein menschliches Grundbedürfnis an, das zugleich der Notwendigkeit entspricht, überhaupt überleben zu können seit wir aus dem Paradies geworfen wurden. Auf meine Lebensumwelt einzuwirken, ist Grundvoraussetzung für die Sicherung meiner Existenz. Sie ist zugleich aber auch Ausdruck meiner Existenz. Selbsterhaltung und Selbstverwirklichung treffen hier zusammen. Das Umfeld des Menschen wird durch Sachen und andere Menschen bestimmt. Auf eine Sache einzuwirken ist zunächst einmal außerhalb eines sozialen Verbundes möglich. Benötige ich jedoch andere Menschen zur Mitarbeit oder als Abnehmer der von mir bewirkten Sachen, oder brauche ich deren Zustimmung, um unsere gemeinsame Umwelt zu verändern, bewege ich mich innerhalb eines sozialen Gefüges und mein Handeln bewirkt damit Einfluss im Sinne meiner Definition.
Dabei darf Einflussnahme nicht nur auf ein Mittel reduziert werden, die Welt nach den eigenen Vorstellungen gestalten, sie ist vielmehr auch ein Quell der Anerkennung. Zu einer Gruppe zu gehören und darin Anerkennung zu erhalten, sind Grundbedürfnisse der Menschen. Und Einfluss auf andere zu haben ist, ein untrügliches Zeichen von Anerkennung durch andere. Allerdings beschränkt sich die Anerkennung nicht darauf, eine vorzeigbare Karriereleiter präsentieren zu können, sie nährt auch das Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten und ist ein Zeichen der Selbstwirksamkeit
Wie sich diese Selbstwirksamkeit entwickeln und zeigen kann, ist auch von unterschiedlichen Rahmenbedingungen abhängig. Dazu gehören die gegenwärtige kulturelle, politische, historische und rechtliche Situation, in der sich unsere Gesellschaft befindet. Konkreter werden dann die strukturellen und institutionellen Rahmenbedingungen der Institutionen, auf die der einzelne einwirken möchte. Nicht zu unterschätzen sind auch die Dringlichkeit und die Wichtigkeit der Themen, die in diesen Institutionen zur Debatte stehen einschließlich eines passenden Timings.
Zur Tiefe des Einflusses
Eine weitere äußerst wichtige Bedingung, die in den Diskussionen über die Kunst der Einflussnahme weitgehend vernachlässigt wird, ist das Gewicht bzw. die Tiefe des Einflusses, die ein Akteur gewinnen kann und den auf der anderen Seite sein Gegenüber zulässt. Geht es z.B. darum zu entscheiden, wann eine nächste Vorstandssitzung stattfinden soll oder geht es um grundlegende Fragen, wie die Übernahme von Zielvorstellungen, oder gar eines Wertesystems bis hin zur bedingungslosen Gefolgschaft?
Als Messinstrument für den eigenen Begeisterungszustand, den ich bei anderen auslösen oder bei mir zulassen möchte, bieten wir einen ersten „Prototyp“ an, der Auskunft geben soll, mit welcher Wirkung die Menschen durch den Akteur beeinflusst wird. Gerade die gegenwärtigen populistischen Aktivitäten und deren Erfolg in der Bevölkerung legt es nahe, dem Phänomen der Begeisterung, vor allem, wenn sie das Hirn ersetzt, näher zu kommen.
Unser Messinstrument besteht in dem Entwurf einer Taxonomie (ein Ordnungssystem, das aufsteigend an Komplexität zunimmt), die auf dem Ansatz von Robert Gagné, einem bedeutenden Vertreter der amerikanischen pädagogischen Psychologie, beruht. Unser Instrument soll anzeigen, in welchem Ausmaß der Einfluss des einen auf den anderen reicht und diesen in Beschlag nimmt; angefangen damit, die Äußerungen des anderen überhaupt wahrzunehmen, bis zu einem geradezu Beseelt sein von den darin vermittelten Gedanken, vielleicht dann auch nicht mehr zu trennen von dem Beseelt von dem Akteur, dem (Ver)Führers meiner Gedanken und Gefühle.
Der Übertragungsversuch auf die Tiefe des Einflusses wird dabei in zwei Richtungen ausdifferenziert und zwar einmal auf einen konkreten Vorgang bzw. Argumentation hin und zum anderen auf die gesamte Person als Einflussgröße. Dabei kann man wohl davon ausgehen, dass jemand, der mich schon mehrmals in konkreten Situationen mit seinen Vorschlägen überzeugt hat, dies auf sein „Konto als Person“ gutgeschrieben bekommt.
Beide Taxonomien sind dabei jeweils aufsteigend zu lesen und hoffentlich auch zu verstehen (beginnen also jeweils mit 1).
Ich habe Einfluss mit meiner konkreten Argumentation
- Wenn andere aktiv meine Handlungsvorschläge umsetzen
- Wenn andere meine Argumente in ihre aufnehmen
- Wenn andere meine Argumente gut finden
- Wenn andere bemüht sind, das zu verstehen, was ich meine,
- Wenn andere aufmerken, wenn ich etwas sage
Ich habe Einfluss als Person
- Wenn andere mir bedingungslos folgen
- Wenn andere erfüllt sind, wenn sie nach meinem Vorschlag leben
- Wenn andere meine Argumente und Ziele in ihr Wertesystem integrieren
- Wenn andere das, was ich sage, gut finden
- Wenn andere mich verstehen
- Wenn andere mir zuhören
- Wenn andere mich wahrnehmen
Erfahrungsgemäß werden die meisten Akteure nicht von vornherein Ihre Bemühungen auf eine Einflussebene eichen. Dieses Messinstrument dient wohl eher dem Versuch, bestehende Beziehungen zwischen Akteur und seinem Gegenüber analytisch einzuordnen und eventuell Warnsignale aussenden.
Passung als Voraussetzung
Wenn ich Einflussnahme gerne als Kunst bezeichne, hat mit der Aura des Geheimnisvollen, des nicht präzise Fassbaren zu tun. Der, der Einfluss nehmen möchte und diejenigen, auf die er wirken möchte, müssen auf irgendeine Weise zueinander passen. Die „Chemie“ muss stimmen. Dazu gehört der Ton, der die Musik macht, die gleiche Symbolwelt, die sich in Vorlieben für die äußere Gestaltung zeigen aber auch in der Auseinandersetzung mit gleichen Themen oder auch eine vergleichbare Herkunft. Eine Karikatur solch einer Passung kann man in einer Vernissage betrachten, in der Menschen, die sich als Kunstinteressierte verstehen, mit einem Glas Prosecco in der Hand, über ihre Kunsterlebnisse kunstfertig austauschen und dabei einem einführenden Redner lauschen, der sein Kunstverständnis auszusenden versucht. noch kunstvoller als der ausstellende Künstler, für den die Vernissage eigentlich veranstaltet wird.
Geheimnisvoll ist dieses Phänomen insofern als es sich nicht in einer Wirkungskette darstellen lässt. Es ist auch keine Technik, die von dem erfolgreich Agierenden abgeschaut und kopiert werden kann. Selbst wenn die Kopie technisch gelingt, braucht sie nicht zu funktionieren, da sie von der Person des Originals abgetrennt und möglicherweise zur Karikatur geworden ist. Es hat also viel mit der Person zu tun, und zwar der des Akteurs. Auf diesen Aspekt wird in unseren Coaching-Modulen eingegangen werden.
Ethische Aspekte – Manipulation
Zu den Grundlagen der Einflussnahme gehören auch Aussagen zu ethischen Dimensionen, die mit dem Bemühen verbunden ist, auf andere Menschen einzuwirken. Weit verbreitet ist die Aversion gegen eine Einflussnahme von Dritten oder auch schon von Zweiten, obwohl wir in einer Welt leben, in der wir tagtäglich auf die unterschiedlichsten Formen der Einflussnahme hereinfallen. Und dabei würdigen wir diese mit dem für uns negativ belegten Begriff der Manipulation herab. Dabei ist Manipulation an sich kein werthaltig belegter Begriff und wenn doch, dann z.T. durchaus positiv belegt, wenn ein Physiotherapeuten Hand (manus) an uns legt und uns sogar von der Krankenkasse bezahlt Hand fachsprachlich korrekt „manipuliert“.
Selbst im renommierten Gablers Wirtschaftslexikon wird Manipulation neutral als Beeinflussung definiert. Und eigentlich müsste der negative Beigeschmack noch weiter schwinden, wenn wir uns auf die pädagogischen Maßnahmen von Lehrern und Eltern besinnen, ihre Kinder durch Lob zu erziehen. Alle, die gegen die Konditionierung als psychologisches Steuerungsmittel aufbegehren, sollten sich selbstkritische überprüfen, ob sie nicht selbst solche – wenn auch nur zum Besten für die Kleinen – anwenden. Solch ein Verhalten endet auch nicht im Erwachsenenalter und auch nicht in dem rationalen Geschäftsleben. Im Grunde genommen basiert auch die gesamt Führungslehre auf dem Prinzip der Verstärkung. Wenn in Seminaren zur Mitarbeiterführung gelehrt wird, Mitarbeiter ernst zu nehmen, sie in Entscheidungsvorgänge einzubinden und nicht nach der weit verbreiteten Verhaltensmaxime „nichts gesagt, ist genug gelobt“ zu verfahren, ist dies auch ein Mittel der Einflussnahme. Dieses findet schließlich die Fortsetzung in einer gezielten, Personalentwicklung bzw. einer Karriereplanung und nicht zuletzt – und nicht zu vergessen – in der Bezahlung.
Die weit verbreitete Skepsis gegenüber der Beeinflussung im Sinne einer Manipulation gänzlich weg zu argumentieren, wäre allerdings auch nicht gerechtfertigt. Eine Abgrenzung zwischen einer abzulehnenden Form der Beeinflussung und einer akzeptablen, wenn nicht sogar nötigen, verlangt geradezu nach einer Orientierung. Eine solche Orientierung wollen wir in unseren Coaching-Modulen geben.
Grenzregion Werbung
Gerade in dieser Grenzregion bewegt sich die Werbung, die wiederum eine Balance zwischen Realität und Wunsch vollführt und noch eine Passung zustande bringen muss zwischen der Art und Weise, wie sie das Interesse potenzieller Kunden weckt und zugleich dem Produkt gerecht wird, dessen Verkauf sie unterstützt.
Die Grenze scheint dort überschritten zu sein, wo das Subjekt sich in seinem Verlangen nach einer freien Entscheidung durch eine geschickte Beeinflussung behindert fühlt, auch wenn dies, wie so häufig, erst im Nachhinein geschieht. Ein extremes Beispiel, das schon vor rund 60 Jahren für Furore vor allem in der damals jungen Generation gesorgt hat, war das Experiment, das Vance Packard beschrieben hat. Bei einer Filmvorführung wurden kurze nicht bewusst wahrnehmbare Werbeaufrufe „esst Poppcorn!“ eingeblendet und dies mit für die Poppcorn-Verkäufer großem Erfolg. Die Veröffentlichung dieses solchen erschreckenden Falles einer Beeinflussung hat damals selbstverständlich den Ruf nach Schutzmaßnahmen nach sich gezogen. Vor allem der „Angriff“ auf das ungeschützte Unterbewusstsein, galt als besonders verwerflich.
Selbstverständlich ist es nachzuvollziehen, dass jemand für sich, für seine Idee für sein Produkt wirbt. Wer dies tut, wird immer wieder vor die Frage gestellt werden, ob und wie er selbst Techniken einsetzt, die als Verkaufstechniken angepriesen werden, wie z.B. die freundschaftliche Verbundenheit betonen, den Fuß in die Tür bekommen, mit Knappheit Begehrlichkeit wecken, Informationen selektiv weitergeben so z.B. positive Aspekte hervorheben und negative kleiner reden. Selbst der Einsatz von Fragen, soll andere in die gewünschte Richtung zu lenken. Dies trifft vor allem auf Suggestivfragen zu. Falls jemand nach Beispielen sucht, braucht er sich nur die Interviews von Sportreporterinnen und Sportreporter zu Gemüte führen. Nicht von ungefähr wird in Kommunikationstrainings das Motto ausgegeben „wer fragt führt“. Man kann dieses Motto durchaus ergänzen durch: Wer schlecht fragt, führt schlecht und wer bewusst schlecht fragt, verführt!
Insofern bleibt die Werbung eine Gradwanderung zwischen Bescheidenheit und Übertreibung, zwischen Realität und Wunsch, zwischen der Überzeugung von dem eigenen Produkt und der eignen Dienstleistung und dem schlichten Ansporn „Geld zu machen“. Darüber hinaus bedarf es auch hier einer Passung und zwar in diesem Fall zwischen Inhalt und der Art und Weise, wie dieser verkauft wird. Wissenschaftler sind in der Regel weniger gewandt, ihre Produkte anzupreisen als z.B. ein Autohändler oder ein Verkäufer verderblicher Waren auf dem Wochenmarkt. Es gelten je nach der jeweiligen Teil-Kultur andere Regeln, die sich möglicherweise jedoch nicht so grundlegend unterscheiden. Der Marktplatz für den Wissenschaftler ist der Kongresssaal und sein Referat am Pult seine Form des Marktschreiens vom Verkaufswagen aus.
Es gilt jeweils die Form herauszufinden, die zu dem Produkt bzw. Dienstleistung und vor allem auch zu der Klientel passt, der man sie anbietet. Insofern ist der Einsatz von sozialer Intelligenz primär keine Manipulationstechnik, sondern ein Bemühen, die eigenen Sachargumente in sympathischer Verpackung zu garnieren. Manipulation beginnt dort, wo der andere bewusst getäuscht wird, wo die Verpackung den Inhalt nicht garniert, sondern verbirgt, wo mein Gegenüber abgelenkt werden soll, um ihn zu täuschen. Selbst wenn eine Garnierung als ein Stück Versuchung wirken kann, darf sie nicht so weit vom Inhalt ablenken, dass dieser dem eigenen Wunsch des anderen nicht mehr entspricht, wenn nicht sogar entgegensteht. Wenn wir als ein zentrales Moment der sozialen Intelligenz die Empathie betrachten, wäre dies ansonsten ein Widerspruch in sich.
Die beste Möglichkeit, sich gegen Manipulationen im negativen Sinne zu wappnen, ist, sich des Mechanismus solcher Versuche bewusst zu werden, indem man deren Wirkungsketten analysiert und zudem die Interessen aufdeckt, die mit Hilfe manipulativer Tricks verschleiert werden sollen. Dies gilt jedoch nicht nur für die Objekte solcher Täuschungsversuche, es gilt auch für den Akteur selber, der, selbst in guter Absicht, in Gefahr ist, sich solcher Mittel zu bedienen, vor allem, wenn er die Erfahrung gemacht hat, dass sie funktionieren.
Eine zentrale Kontrollinstanz könnte darin bestehen, sich immer wieder bewusst zu werden, welchen Sinn das macht, was ich „verkaufen“ möchte und dies über den schlichten Zweck hinaus, damit Geld zu verdienen.
Wenn wir dies beherzigen, kommen wir dem näher, was Paul Collier in seinem Anfang 2019 in Buchform erschienenen Manifest gegen den Zerfall unserer Gesellschaft gefordert hat. Unternehmen sollten nicht nur um des Profites willen wirtschaften, sondern auch aus Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft, fordert der weltbekannte Wirtschaftswissenschaftler Paul Collier. In seinem neuen Buch plädiert er deshalb für einen „sozialen Kapitalismus“, der auf einer Ethik der Gemeinschaft beruht.
Die Dominanz der Beziehungsebene
Wenn wir Einfluss als Wirksamkeit in einem sozialen Gefüge verstehen, kommt der Beziehungsebene eine enorme Bedeutung zu. So hängt die Bedeutung einer Sache und die Wertschätzung der Fähigkeit, eine Sache zu produzieren, wesentlich davon ab, welchen Wert die Sache für dieses soziale Gefüge auf der Beziehungsebene hat. Und dieser Wert steht nicht „gottgegeben“ fest, sondern wird ausgehandelt und das Aushandeln wiederum ist eine Frage der Kommunikation. Insofern ist die Fähigkeit zu kommunizieren und das Geschick Beziehungen positiv zu gestalten das zentrale Mittel der Einflussnahme. Gerade die Gestaltung der Beziehungsebene allgemein und die der Kommunikation im Besonderen werden explizit aber auch implizit Schwerpunkte bei den weiteren Fazits sein.