Manipulation

„Ich lass mich von Ihnen nicht manipulieren“.

Dies ist wohl eine der gebräuchlichsten Abwehrfloskeln, vor allem gegen die Versuche, uns zu beeinflussen. Nützen wird uns dieser Vorsatz allerdings nur begrenzt. Dies liegt vor allem in zwei grundlegenden Voraussetzungen begründet. Manipulation ist zum ersten keine Sünde und sich dieser hinzugeben auch keine Schande. Manipulation ist zunächst einmal ein neutraler Begriff, der von dem lateinischen Wort manus (Hand) abgeleitet ist, und wir geben uns der Beeinflussung durch diese Hand gerne hin, wenn sie einem jemanden gehört, der uns physiotherapeutisch behandelt. Wenn wir den Begriff Manipulation dennoch meist negativ besetzen, so, weil wir manchmal nicht nachvollziehen können, wie die Einflussnahme wirkt. So, wie Massage-Eingriffe häufig nicht dort erfolgen, wo wir den Schmerz lokalisieren, sondern an einem völlig anderen Punkt, von dem aus es „triggert“. Verwundert nehmen wir z.B. wahr, dass ein Fingerdruck in der Mundhöhle, gegen die schmerzhafte Verspannung im Rücken hilft. Diese Verwunderung wird allerdings häufig durch eine Irritation darüber begleitet, wie so etwas überhaupt funktionieren kann.

Vergleichbare Phänomene erfahren wir über die manuelle Beeinflussung hinaus generell in allen Begegnungen, bei denen Menschen auf andere wirken. Der Satz des wohl berühmtesten internationalen Kommunikationsforschers Paul Watzlawick man kann nicht nicht kommunizieren, lässt sich, da Beeinflussung im Wesentlichen auf Kommunikation beruht, übertragen und zurecht in der These zusammenfassen: man kann nicht nicht Einfluss ausüben. Das gilt nicht nur für die rührigen Akteure, sondern ebenso für diejenigen, die nur passiv in der Ecke sitzen und – vielleicht auch auffällig - nichts tun; vor allem, weil die anderen sich fragen, wieso diese sich so zurückhalten.


Also, dem Prozess der Einflussnahme kann man sich nicht entziehen. Dies gilt für den aktiven Part ebenso wie für den passiven. Allerdings hilft uns solch eine akademisch abgeleitete Feststellung nichts gegen das Phänomen, das wir im tagtäglichen Sprachgebrauch als Manipulation ablehnen, vor allem, wenn wir uns als Opfer wähnen, und von dem wir uns hüten sollten, wenn wir nicht der Täterschaft bezichtigt werden wollen. Es ist das bewusste Verführen, gegen das wir uns wehren wollen und das wir uns versagen sollen. Dies ist jedoch leichter als Forderung formuliert als, dass wir diese in der tagtäglichen Wirklichkeit realisieren können. So sind die meisten Einflüsse, die wir von Kindesbeinen an erfahren, im Grunde genommen Maßnahmen einer solchen Verführung. Schon das Lob, das wir als Kinder erfahren und anderen gegenüber austeilen, kann als Manipulation im negativen Sinne gedeutet werden. In der Nachfolge der 68er Bewegung wurde die Steuerung durch Belohnung als abzulehnende Konditionierung verteufelt. Mit dem Argument und in Anspielung auf die Versuche des amerikanischen Behavioristen B.F. Skinner, „wir sind keine Ratten“, belohnten sie statt guter Leistungen schlechte Schulnoten ihrer Kinder. Zum Glück haben diese in den überwiegenden Fällen drauf verzichtet, auf diesem Wege reich zu werden. Ob sie sich allerdings dem Lernen aus Einsicht – als theoretisches Gegenmodell zur Konditionierung – hingaben, konnte man auch nicht mit Sicherheit feststellen. Ich denke, man darf heute wieder davon ausgehen, dass die Verstärkung ein wesentliches handlungsleitendes Mittel ist und bleibt, auch, wenn es sich aus uns selbst, d.h. dem Gefühl der Zufriedenheit nährt.


Es geht heute vielmehr darum, Formen der Einflussnahme zu identifizieren, die andere Menschen zum Objekt machen, das in der kritischen Überprüfung seiner Bedürfnisse behindert wird, bis hin zu dessen Degradierung zu einem wehr- oder sogar willenlosen Opfer. Dass solches möglich ist, hat Vance Packard Ende der 50ger Jahren in seinem Buch „Die geheimen Verführer“ geradezu erschreckend vorgeführt. Danach sollen in einem Kino kurze nicht bewusst wahrnehmbare Werbespots geschaltet worden sein, die die Zuschauer veranlasst haben, zu Hauf das beworbene Produkt (Popcorn) zu kaufen. Es ist jedoch nicht nur der Einfluss der Werbung, die solche Eingriffe gegen den Willen des Konsumenten einnimmt, auch im „normalen Leben“, konkret in der täglichen Kommunikation und in der Zuweisung von Rollen und Positionen, sind solche Phänomene zu beobachten. Eine der extremsten Formen wird mit dem Begriff Gaslighting belegt, nach einem Roman von Patrick Hamilton Ende der 30er. Es handelt sich dabei um eine zerstörerische Form der Beeinflussung und der psychischen Gewalt. Andere Menschen, häufig Lebenspartner, werden psychisch missbraucht und zu willenlosen Opfern deformiert, die letztlich in ihrem Selbstbewusstsein und der Wahrnehmung der Realität zerstört werden.


Sicherlich, diese Beispiele spiegeln Extreme wieder, doch zwischen den Extremen bilden sich stufenweise Zwischenformen mit zunehmender Einschränkung der Selbststeuerung aus. Die Übergänge sind dabei fließend. Um überhaupt einen Anhaltspunkt zu haben, wo wir eine Grenze erreicht haben, vor deren Überschreiten wir warnen, sowohl als Akteur als auch als Adressat einer Aktion, haben wir eine Taxonomie (in Anleihe an die Taxonomie der affektiven Lernziele nach Robert Gagné) erstellt, mit deren Hilfe die Einflussnahme auf andere erfasst werden kann.  


Beide Taxonomien sind dabei jeweils aufsteigend zu lesen und hoffentlich auch zu verstehen (beginnend also jeweils mit 1).

Ich habe Einfluss mit meiner konkreten Argumentation

  1. Wenn andere aktiv meine Handlungsvorschläge umsetzen
  2. Wenn andere meine Argumente in ihre aufnehmen
  3. Wenn andere meine Argumente gut finden
  4. Wenn andere bemüht sind, das zu verstehen, was ich meine,
  5. Wenn andere aufmerken, wenn ich etwas sage

ch habe Einfluss als Person

  1. Wenn andere mir bedingungslos folgen
  2. Wenn andere erfüllt sind, wenn sie nach meinem Vorschlag leben
  3. Wenn andere meine Argumente und Ziele in ihr Wertesystem integrieren
  4. Wenn andere das, was ich sage, gut finden
  5. Wenn andere mich verstehen
  6. Wenn andere mir zuhören
  7. Wenn andere mich wahrnehmen

Während von der Taxonomie für die konkreten Argumente noch keine Warnzeichen ausgehen, ist die Einflussnahme als Person bzw. die Einflussnahme durch eine Person kritisch zu überprüfen. Es gilt darauf zu achten, wo man beginnt, den eigenen Willen dem einer anderen Person auszuliefern, wo man aufgibt, sich frei zu entscheiden. Dabei muss solch eine freie Entscheidung nicht unbedingt rational sein, sie kann auch den Bauch siegen lassen. Abzulehnen sind allerdings Handlungen, Aufforderungen und Versuchungen, die alleine dem Zweck des Akteurs dienen, etwas ausschließlich zu seinen Gunsten zu verkaufen, wo dieser den anderen täuscht oder in den Hinterhalt führt. Hier sind auch Vorfälle einzuordnen, die uns als ärgerliche Ereignisse im Alltag begegnen. So z.B. die Nudeltüte, die jedes Mal reißt, wenn wir nur Teile ihres Inhalts in doch kochendes Wasser geben wollen, obwohl wir gar nicht so viel brauchen und man braucht kein  Verschwörungstheoretiker zu sein, um zu vermuten, dass dies nicht ungewollt ist. Oder die sich wiederholende, nervige Werbung, die einem in einer Telefonschleife aufgezwungen wird, weil eine direkte oder wenigsten schnelle Durchwahl zu den Zuständigen bewusst verhindert wird.

Wenn man dagegen von einer win win Perspektive ausgeht, wenn man überzeugt ist, dass sein Produkt, seine Dienstleistung einen konstruktiven Beitrag leistet, wenn die Art und Weise der Darstellung der Verpackung nicht dazu dient, zu kaschieren, sondern lediglich zu garnieren, dann kann man entsprechende „unterstützende“ Techniken anwenden. Dazu gehören die vielfältigen Anregungen, die in Argumentationstrainings vermittelt werden. So z.B. die Dramaturgie bei Aufbau einer Argumentationskette, die Techniken zur Bearbeitung von Einwänden, der Umgang mit Killerphrasen, die Ansprache unterschiedlicher Charakter-Typen oder Zielgruppen auf unterschiedlichen Hierarchieebenen. Einige grundsätzliche Anregungen auf diesem Feld haben wir schon in unserem Beitrag „5 Regeln von Einfluss nehmen“ gegeben. Beispielhaft und ergänzend soll hier auf das richtige Timing verwiesen werden. So ist es z.B. wichtig, jeweils den richtigen Zeitpunkt zu treffen, zu dem man eine Angelegenheit anspricht. In einer Gremiensitzungen ist es u.a. ratsam, einen Vorschlag zeitlich richtig zu platzieren. Langjährige eigene Erfahrungen haben folgendes gezeigt:


Wird ein neuer Punkt am Anfang einer Tagesordnung abgehandelt, gerät er in Gefahr, lange zerredet zu werden, am Ende einer kräftezehrenden Sitzung dagegen eher schnell durchgewunken, allerdings dann ohne die möglicherweise erforderliche Gründlichkeit. Auch die Zeitperspektive, die man mit einer zu entscheidenden Reglung verbindet, ist von Bedeutung. Definiert man diese als eine vorläufige Prüfphase wird sie schneller akzeptiert, hält aber manchmal jahrelang, wie die nackte Glühbirne, die man bei einem Einzug in eine neue Behausung irgendwo in einem Nebenraum provisorisch aufhängt.


Offen bleibt die wichtige Frage, wo die Grenzen sind. Unseres Erachtens sind sie dort, wo wir unser Gegenüber in eine für ihn unkontrollierte Abhängigkeit bringen, wo wir ihn in eine Ecke oder sogar in einen Interhalt drängen, in denen er uns mehr oder weniger ausgeliefert ist. Die Entscheidung darüber, wird nie abschließend beantwortet sein, sie stellt sich immer wieder auch bedingt durch Modeerscheinungen, mediale Neuerungen und Gewohnheitseffekte. Die ethische Dimension dieser Frage wird gegenwärtig neu belebt, bedingt durch die Diskussion um den „Purpose-Anspruch“ vor allem der jüngeren Mitarbeiter in Unternehmen. Danach fragen jüngere, vor allem hochqualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach dem Sinn des Unternehmens und seiner Dienstleistungen, in das sie eintreten wollen. Entscheidend ist dabei, dass die Wertediskussion, die gegenwärtig durch die Kreise der Unternehmensberater durchzudringen scheint, aus Unternehmenssicht nicht nur auf eine aufgesetzte Modererscheinung reduziert wird. So hat der Vorstandsvorsitzende eines großen Versicherungsdienstleister bei der Diskussion um die Verfassung einer Unternehmensphilosophie dem Autor gegenüber verraten, dass er solche Versuche letztlich für fromme Sprüche hält, während es letztendlich um Shareholder Value ginge. Also, bleibt es an uns, Vorsicht walten zu lassen, wieviel Wahrheitsgehalt hinter Hochglanzbroschüren und Imagekampagnen steht. Für unsere persönliche Vergabe eines ethischen Prüfsiegels dienen uns weiterhin das in unserem Modul 2 wiedergegeben Postulat des weltbekannten Wirtschaftswissenschaftler Paul Collier aus seinem in Buchform erschienenen Manifests gegen den Zerfall unserer Gesellschaft. Danach sollen Unternehmen nicht nur um des Profit willen wirtschaften, sondern auch aus Verpflichtung gegenüber unserer Gesellschaft und plädiert für einen „sozialen Kapitalismus“, der auf einer Ethik der Gemeinschaft beruht. Dies sollte auch für jeden und jede einzelne von uns gelten.

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